Initiative für Aufklärung und Betroffenenschutz

Wenn Inklusion versagt: Elternberichte und Ermittlungen zu Missständen an verschiedenen Waldorfschulen in Deutschland

Waldorfschulen werben seit Jahrzehnten mit einem pädagogischen Ansatz, der Kinder in ihrer Individualität fördern und ganzheitlich begleiten soll. Doch auch die jüngsten Presseberichte in der Stuttgarter Zeitung und der Rheinpfalz offenbaren eine andere Realität: Mehrere Eltern klagen dort über mangelnde Inklusion, fehlende Gleichbehandlung, die Missachtung medizinischer Weisungen und diskriminierende Praktiken.

In Medienberichten der Stuttgarter Zeitung (29. Juli 2025: Wie ernst nehmen Waldorfschulen Inklusion?) und der Rheinpfalz (1. August 2025: Freie Waldorfschulen und die Inklusion: Ein Streitfall) geht es um mehrere geschilderten Fälle in deutschen Waldorfschulen, nach welchen enttäuschte und schockierte Eltern über fehlende Gleichbehandlung, verweigerte Inklusion und Diskriminierung berichten. Auffällig ist zudem ein wiederkehrendes Muster im Umgang mit Kritik: Eltern, die Missstände benannten oder die Rechte ihrer Kinder geltend machen wollten, berichten davon, selbst zu Zielscheiben zu werden – durch öffentliche oder behördliche Diffamierungen, Mobbing, Beendigung des Schulvertrages oder Aufforderung zur Kündigung.

Die in den Presseberichten geschilderten Fälle an verschiedenen Waldorfschulen zeigen dies exemplarisch. An der Freien Waldorfschule Mainz berichten gleich drei Familien unabhängig voneinander von erheblichen schulischen Missständen, Mobbingproblemen, Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, Diskriminierung sowie fehlende Inklusion. Die Parallelen zwischen den Schilderungen sind deutlich – und sie verweisen auf systemische Defizite, über die ehemalige Eltern und Schüler:innen von Waldorfschulen wiederholt berichten.

Anspruch und Realität

Aus den Beiträgen geht auch klar hervor, dass der Bund der Freien Waldorfschulen mit dem Versprechen auftritt, dass seine Schulen inklusiv seien und Kinder individuell und ganzheitlich gefördert würden. Viele Familien entscheiden sich in der Hoffnung für diese Schulen, ihren Kindern eine behütete und leistungsfreie Lernumgebung zu ermöglichen. Doch zahlreiche Elternberichte zeichnen ein anderes Bild – auch in den aktuellen Beiträgen. Immer wieder ist die Rede von fehlender Inklusion und Unterstützung, Missachtung medizinischer Vorgaben, mangelnder Gleichbehandlung und diskriminierendem Verhalten gegenüber Kindern und Eltern.

Besonders brisant ist, dass Eltern, die Missstände benennen, in den dokumentierten Schilderungen die Kündigung droht oder sie selbst ins Visier geraten. Statt Dialog und Lösung beschreiben sie schulische Abwehr, mangelnde Unterstützung, Mobbing, öffentliche Diffamierungen oder gar haltlose Meldungen an das Jugendamt. Die hier beschriebenen Fälle stehen exemplarisch für wiederkehrende Muster, die wiederholt an Waldorfschulen in Deutschland und anderen Ländern beobachtet wurden – zuletzt entbrannte insbesondere in Frankreich eine intensive öffentliche Debatte über die Missstände an Waldorfeinrichtungen zu genau diesen Themen.

Drei dokumentierte Fälle in Mainz: Eltern erheben schwere Vorwürfe

In Bezug auf die Freie Waldorfschule Mainz erheben gleich drei Familien unabhängig voneinander schwere Vorwürfe gegen die Schulleitung: Nach dem aktuell medial wiederholt geschilderten Fall der an Diabetes erkrankten Schülerinnen kritisierten die Eltern u. a., dass ärztliche Handlungsanweisungen nicht befolgt worden seien, die Schule die medizinische Situation unterschätzt und die notwendige Zusammenarbeit und gemeinsame Absprachen mit den Eltern verhindert habe – auf deren Anliegen und Beschwerden habe man mit Kommunikationsverweigerung und schließlich schikanösen Mobbing-Maßnahmen reagiert.

Statt medizinisch-pädagogische Absprachen und konkrete Unterstützung sicherzustellen, meldete die Schule dem Jugendamt schließlich sogar eine vermeintliche Kindeswohlgefährdung – und zwar kurz nachdem die Eltern die Missstände auf Rat externer Stellen an die Schulaufsichtsbehörden gemeldet hatten. Die darin enthaltenen schwerwiegenden Vorwürfe erwiesen sich als vollständig haltlos. Zusätzlich attackierte die Schulleitung die Eltern in einem Presseinterview sowie einer Schulstellungnahme öffentlich mit nachweislich unwahren und ehrverletzenden Aussagen – sowohl aufgrund der Jugendamtsmeldung, als auch wegen des Presseinterviews und der Schulstellungnahme nahm die Staatsanwaltschaft Mainz wegen des Verdachts auf üble Nachrede, Verleumdung und weiterer Delikte Ermittlungen auf. Darüber hinaus sprach der Landesdatenschutzbeauftragte Rheinland-Pfalz wegen schwerer Datenschutzverstöße eine offizielle Verwarnung gegen die Schule aus

Ein zweiter Fall betrifft ein Mädchen mit psychischen Problemen, das laut ihrer Eltern über längere Zeit von Mitschüler:innen schwer gemobbt wurde. Nach ihrer Darstellung griff die Schule nicht ausreichend ein und bot keine Unterstützung an. Die Situation spitzte sich so weit zu, dass das Kind medizinische Hilfe benötigte und von der Schule genommen werden musste. Für die Familie war die verweigerte Unterstützung durch die Schule ein entscheidender Grund, die Missstände öffentlich zu machen.

Im dritten Fall geht es um ein Kind mit Legasthenie und ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom). Auch hier berichteten die Eltern von überforderten Lehrern, schweren Mobbingvorfällen, fehlender Unterstützung und verweigerter Förderung. In einem Schreiben an die Eltern bestätigte die Co-Schulleiterin sogar wörtlich, dass die Waldorfschule Mainz keine Förderangebote habe, die auf individuelle Diagnosen zugeschnitten seien und es Aufgabe der Eltern sei, diese zu organisieren und zu finanzieren – für die Familie ein klarer Hinweis auf eine systematische Benachteiligung von Kindern mit besonderen Lernbedarfen.

Diese drei Fälle verdeutlichen unterschiedliche Problemlagen – medizinische Sicherheit, Schutz vor Mobbing und Förderung bei Lernschwierigkeiten. Ihnen gemeinsam ist jedoch der Vorwurf, dass die Waldorfschule Mainz grundlegende Pflichten im Bereich Inklusion und Fürsorge verfehlte.

Weitere Elternberichte zu Diskriminierung an mehreren Waldorfschulen

Auch außerhalb von Mainz wurden in den Beiträgen der Stuttgarter Zeitung und der Rheinpfalz ähnliche Erfahrungen öffentlich gemacht. In der Waldorfschule Frankenthal berichteten Eltern einer Schülerin mit schwerer Lebensmittelallergie ebenfalls von gravierenden Problemen im Umgang mit der Notfallmedikation. Ärztlich festgelegte Handlungspläne seien nicht konsequent umgesetzt worden, wodurch die Gesundheit und Sicherheit des Kindes unnötig gefährdet worden sei.

Ein erschütternder Vorfall ereignete sich auch an der Waldorfschule Regensburg. Dort wurde ein damals achtjähriger Schüler, der unter psychischen Problemen litt, nach Angaben seiner Eltern über längere Zeit massiv gemobbt. Schließlich sei er so schwer zusammengeschlagen worden, dass er schwer verletzt im Krankenhaus behandelt werden musste. Die Familie warf der Schule vor, ihrer Fürsorgepflicht nicht nachgekommen zu sein sowie Mobbing und Gewalt nicht wirksam unterbunden zu haben.

Ein weiterer Fall an einer Waldorfschule in Baden-Württemberg betrifft ein Kind, das nach einer Hirnhautentzündung infolge eines Zeckenbisses eine geistige Behinderung davontrug. Auch hier soll es keinerlei schulische Unterstützung gegeben haben, obwohl die Familie dringend auf Hilfsmaßnahmen angewiesen war – stattdessen habe die Schule der Familie den Vertrag gekündigt. Um welche konkrete Waldorfschule es sich handelte, wollten die Eltern aus Angst vor Repressalien nicht öffentlich bekannt geben.

In der Waldorfschule Görlitz war ein an Epilepsie erkranktes Mädchen nach Berichten ihrer Eltern fortan nicht mehr willkommen und ihnen wurde die Kündigung nahegelegt. Zudem kam es zu einem Fall an der Waldorfschule Dietzenbach, in dem einem halbseitig gelähmten Mädchen kurzerhand der Schulvertrag gekündigt wurde, nachdem ihre Eltern notwendige Unterstützung im Umgang mit der Behinderung gefordert hatten. Auch für ihre Eltern war dies ein schwerer Schlag: Statt Förderung und Inklusion erhielten sie die Botschaft, dass ihr Kind an dieser Schule nicht erwünscht sei.

Wiederkehrende Muster und strukturelle Defizite

Ob es sich um Diabetes, psychische Probleme, ADS, Legasthenie, eine schwere Allergie oder geistige sowie körperliche Behinderungen handelt – die Fälle weisen auffällige Gemeinsamkeiten auf. Kinder mit medizinischen Diagnosen und besonderen Bedarfen wurden nicht ausreichend unterstützt, ärztliche Anweisungen nicht umgesetzt, Lernschwierigkeiten nicht gefördert, die Forderungen der Eltern sogar explizit verweigert – und in mehreren Fällen blieb sogar der Schutz vor Mobbing und Gewalt aus.

Eltern, die auf Missstände hinwiesen, berichten hier wiederholt von Ablehnung, Ausgrenzung, Schuldumkehr, Mobbing und Diffamierung. Auch unabhängige Stellen und Experten haben in konkreten Fällen auf Defizite hingewiesen und (etwa im Mainzer Fall) von klaren Anhaltspunkten für Diskriminierung sowie einem medizinisch riskanten Umgang mit Erkrankungen und besonderen Bedarfen gesprochen.

Karma-Lehre und die Inklusion

Auch zu diesem Thema bleibt ein Grundpfeiler der anthroposophischen Lehre nicht unerwähnt: die Karma-Vorstellungen Rudolf Steiners. Auch die aktuellen Beiträge greifen diese in Zusammenhang mit Inklusion und der anthroposophischen Sicht auf Krankheit, Behinderung und besonderen Bedürfnissen auf – und zeigen, wie stark die Esoterik Rudolf Steiners und die Lehren der Anthroposophie mit modernen Fragen von Inklusion kollidieren kann.

Nele Auschra, Sprecherin des Bundes der Freien Waldorfschulen, ist überzeugt, dass Waldorfschulen inklusiv seien. In Diskrepanz dazu stehen nicht nur berichtete Praktiken, sondern auch die Lehren Steiners, die laut Waldorfvertreter:innen mal mehr und mal weniger explizit das tragende Fundament ihrer Pädagogik sind. Steiner war der Ansicht, dass Krankheiten und Leiden im jetzigen Leben aus (fehlerhaften) Taten früherer Inkarnationen resultieren können. Die Logik hinter dieser Lehre ist eindeutig: Kein Schicksal ist zufällig, kein Leiden bloßes Unglück oder biologische Tatsache. Vielmehr tragen Menschen nach Steiners Auffassung die Konsequenzen ihrer vergangenen Existenzen. Auch Krankheit und Behinderung erscheinen demnach nicht als Teil menschlicher Vielfalt, sondern als Stationen auf dem karmischen Lernweg.

Hier setzen die Bedenken vieler Waldorfkritiker:innen an – auch die des Bloggers und Anthroposophiekritikers Oliver Rautenberg: Wer Krankheiten auf Fehlverhalten in einem „früheren Leben“ zurückführe, begegne Kindern nicht auf Augenhöhe, so seine Argumentation. Aus seiner Sicht steht die Karma-Lehre im offenen Widerspruch zu den Grundsätzen moderner Inklusion. Denn diese bedeutet Anerkennung und Gleichberechtigung, ohne metaphysische Zuweisungen und Wertungen, die das Dasein eines Menschen in eine Art Schicksalslast verwandeln – und möglicherweise zu viel Hilfestellung als störend im Hinblick auf die „karmische Aufgabe“ des Einzelnen verstehen könnten.

Ein strukturelles Problem

Der Konflikt berührt damit weit mehr als eine pädagogische Stilfrage. Er legt einen Riss frei, der zwischen dem Anspruch der Waldorfschulen auf Weltoffenheit und den esoterischen Wurzeln ihrer Lehre verläuft. Während Inklusion gesellschaftlich längst als Menschenrecht verankert ist, bleibt Steiners Karma-Lehre ein Erbe, das die Diskussion über Waldorfpädagogik bis heute prägt – und Kritiker:innen auf den Plan ruft, die darin eine nicht überbrückbare Distanz zu echter Inklusion und Gleichheitsgrundsätzen erkennen. Dies alles könnte man als „verstaubte Theorie“ aus überholten anthroposophischen Lehrbüchern abtun – wären da nicht die selbst verkündeten, auf Steiners Lehren rekurrierenden Standpunkte zu Krankheit und Karma-Lehre auch moderner Anthroposoph:innen (hier ein Beispiel aus der vom Bund der Freien Waldorfschulen herausgegebenen „Erziehungskunst“) sowie zahlreiche Erfahrungsberichte betroffener Familien, die eine fragwürdige Sicht auf Krankheit und Behinderung nahelegen.

Die dokumentierten Fälle aus den Waldorfschulen in Mainz, Frankenthal, Regensburg, Görlitz, Dietzenbach und weiteren Orten machen deutlich, wie groß die Diskrepanz zwischen erklärtem Anspruch und Realität in Waldorfeinrichtungen immer wieder ist. Kinder mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen, psychischen Belastungen oder Lernstörungen erhalten gemäß zahlreicher Elternberichte nicht die notwendige Unterstützung und Gleichbehandlung. Stattdessen berichten die tief enttäuschten, teilweise entsetzen Betroffenen, dass von ihnen angesprochene Missstände nicht behoben, sondern häufig noch verschärft wurden – sie schildern Vorfälle von Diskriminierung, Mobbing, Kündigungen von Schulplätzen oder haltlosen Verdächtigungen.

Diese wiederholten Schilderungen, der Blick auf Frankreich und weitere Fallberichte legen nahe, dass es sich nicht um zufällige und bedauerliche Einzelfälle handelt, sondern um institutionell verankerte Defizite in den Strukturen der Waldorfschulen. Die Entwicklungen in Frankreich zeigen, dass konsequente Aufarbeitung und staatliche Kontrolle der Einrichtungen möglich sind. Auch in Deutschland ist eine solche Debatte längst überfällig – nicht zuletzt, um die entscheidenden Rechte von Kindern und Eltern zu schützen und solchen Missständen entgegenzuwirken.

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